So sehen also Terroristen aus. Dieser Gedanke schwirrt mir die ganze Zeit im Kopf herum, als sich die Mutter von Rashwan die Tränen aus den Augen wischt. Als Mustafa vom Tod seines Bruders erzählt und immer wieder betont, dass der nichts Falsches getan habe. Als Rashwans Vater, einer imposanten Gestalt mit vollem, grauen Bart und großen Händen, die Stimme wegbleibt bei der Frage, was für ein Mensch Rashwan gewesen sein. Ein Terrorist - das ist die Definition des Staates.
Rashwan Idris wurde erschossen, einer von offiziell 20 Menschen, die den vierten Jahrestag der Revolution am 25.Januar nicht überlebt haben.
Wir sind in Fayoum, etwa 100 km südlich von Kairo. Die Menschen hier sind sehr konservativ. Vor Rashwans Elternhaus zieht eine Menschenmenge auf, die Frauen sind vollverschleiert, halten Plakate mit den berühmten vier Fingern in der Hand, dem Symbol für die Muslimbrüder. Die Männer rufen: "Das Volk fordert den Sturz des Regimes." Der Schlachtruf der Menschen auf dem Tahrir vor vier Jahren, als sie Mubarak loswerden wollten. Und zwischen allen Mustafa, der ein Plakat seines toten Bruders vor sich herträgt. Es zeigt einen jungen Mann, der charmant-herausfordernd in die Kamera lächelt. "Im Paradies, so Gott will", steht darunter.
"Keine Anhänger der Muslimbrüder"
Sie seien keine Anhänger der Muslimbrüder, betont Mustafa immer und immer wieder. Auch sein Bruder habe die Aktivitäten der Gruppe stets kritisiert. Etwas anderes zu behaupten wäre gefährlich. Die Muslimbruderschaft gilt als terroristische Vereinigung in Ägypten. Mitglieder und Unterstützer werden gejagt. Tausende von ihnen sitzen im Gefängnis, wurden teilweise zum Tode verurteilt. Fakt ist aber auch, dass die Muslimbrüder die einzigen sind, die der Familie in dieser Zeit beistehen, indem sie für Rashwan auf die Straße gehen.
Wir sitzen im Haus der Familie. Alle sind gekommen. Rashwans Tante, seine Brüder, Freunde. Sie unterhalten sich. Es geht um die große Politik. Rashwan sei am 25. Januar nach Kairo gefahren, um gegen die Regierung von Abdel Fattah al Sisi zu demonstrieren. Zusammen mit einem Freund. Im Stadtteil Matareya sei es dann zu Kämpfen mit der Polizei gekommen. Rashwan wurde von Kugeln getroffen. Wer sie abgefeuert hat, das wird wohl nie aufgeklärt.
Wer geschossen hat, wird niemals aufgeklärt
"Für diese Morde wird nie jemand zur Rechenschaft gezogen werden", sagt Sameh Samir, der Anwalt der Familie. Es gehe jetzt ausschließlich darum, dass Rashwan als Märtyrer anerkannt werde. Dann steht der Familie eine Art Schmerzensgeld vom Staat zu.
Wir fragen die Familie, ob es das Wert war, dass ihr Sohn, Bruder, Neffe für seine Überzeugung auf die Straße ging und dafür gestorben ist. Alle schauen sich betreten an. Mustafa anwortet: "Mein Bruder hätte gesagt, ja, das war es."