22. August 2014

Das Fahrrad als politisches Statement

Wer in Kairo auf ein Fahrrad steigt, ist mutig, ja, ich würde fast sagen: wagemutig? Todesmutig! Hitze, Verkehr, Abgase, Mangel an Fußwegen, Menschenmassen, Belästigung - Radfahren macht in dieser Stadt nicht wirklich Spaß. Und so ist es quasi ein politisches Statement, wenn man sich der "Go-Bike"-Gruppe anschließt. Drei Fahrradbegeisterte haben sich einst gedacht: Wir kaufen 100 Räder, treffen uns jeden Freitagmorgen, 6:30 Uhr (!!!), und machen eine Radtour durch Kairo. Um diese Zeit sind die Straßen relativ leer und die Temperaturen relativ erträglich. Wie gesagt, relativ. Für mich als Deutsche, die breite Radwege, eigene Ampeln und die umsichtigen deutschen Autofahrer gewohnt ist, hat das, was in Kairo passiert, nichts mit entspanntem Radeln zu tun. Aber ich bin immer wieder fasziniert von der Energie, die Ägypter aufbringen, um vermeintlich selbstverständliche Dinge zu machen. Und noch mehr bin ich von den Mädels begeistert, die etwa die Hälfte der 150 Teilnehmer ausmachen. "Alleine kann ich nicht Fahrradfahren, das Harassment ist unerträglich", sagt etwa Hend, Ende 20, Jeans, Turnschuhe, rotes Kopftuch, weißes Basecap. Doch ganz geschlagen geben will sie sich nicht: "Dann muss ich eben Freitag so zeitig aufstehen, um mein Hobby zu betreiben." Aber vielleicht ändert sich ja bald etwas, jetzt, wo auch der Präsident radelt. Vor einigen Wochen hat er sich medienwirksam im Sportdress auf's Rad geschwungen und ist durch die - eigens für ihn abgesperrten - Straßen der Hauptstadt gefahren. Seine Botschaft: Das Fahrrad ist die Zukunft Ägyptens und die Lösung für das gigantische Verkehrsproblem in Kairo. Für die Go-Biker werden die Straßen leider nicht abgesperrt, Rücksicht nimmt so gut wie niemand und die starrenden Männer am Straßenrand haben Sisis Botschaft ganz sicher noch nicht vernommen. Die Zukunft hat anscheinend noch nicht begonnen. 

15. August 2014

Ägypten ist toll - wenn man nicht Ägypter ist

Ein Ausflug mit Freunden auf die Sinai-Halbinsel hat mir wieder einmal deutlich vor Augen geführt, wie schön dieses Land ist - wenn man kein Ägypter ist! Dieser Staat teilt die Menschen ganz klar in drei Gruppen. Unterste Stufe: Ägypter. Mittlere Stufe: Araber anderer Länder. Premium Class: Ausländer mit westlichen Pässen. Ich habe das Glück, zu letzterer zu gehören. Das heißt, mein Wohl ist dem Staate mehr wert, als das Wohl meiner Freunde, die nur einen ägyptischen Pass haben. Ein Beispiel: Ein Ausflug auf den Sinai begann mit der Weigerung des Busfahrers, uns Ausländer mitzunehmen, denn die kürzeste Strecke über die Halbinsel ist für Ausländer gesperrt. Zu groß die Gefahr von Terroranschlägen in dieser Region. Dass auch regelmäßig Ägypter dem Terror in diesem Gebiet zum Opfer fallen, scheint den Sicherheitsbehörden entgangen zu sein. Zweites Beispiel: Im Februar sind vier Wanderer auf einem Berg am Katharinenkloster auf dem Sinai erfroren. Die Mitglieder der Gruppe, die gerettet werden konnten, erhoben im Nachhinein schwere Vorwürfe gegen das Militär: Dieses habe ihnen einen Rettungshubschrauber anfangs verweigert, als sich herausstellte, dass unter den Bergsteigern keine Ausländer waren! Ein Pass kann in Ägypten über Leben und Tod entscheiden. Beispiel Nummer drei: Ein Freund brauchte medizinische Hilfe. Er hat einen arabischen Vornamen, heißt für die ägyptischen Behörden: kein Handlungsbedarf. Erst als er seinen deutschen Pass zückte, haben sich plötzlich Verteidigungs- und Gesundheitsminister persönlich (!!!) eingeschaltet. Traurig, aber wahr...


6. August 2014

Hauptsache, es gibt einen 2. Suez-Kanal

Kairo, 10:30 Uhr, 35 Grad, der zweite Stromausfall des Tages. Vermutlich werden noch zwei weitere folgen. Wann? Geheimsache der Regierung. "Wir waren schon mal weiter", hört man verärgerte Ägypter in diesen Tagen schimpfen. Soll heißen: Es gab Zeiten, in denen das Land sein Energie-Problem schon einmal besser im Griff hatte. Die täglichen Stromausfälle schränken die Lebensqualität massiv ein. Zum Verständnis: Wir sprechen nicht von fünf Minuten. In der Regel dauert es eine Stunde, bis Licht, Klimaanlage, Fahrstuhl und Wasser (!!!) wieder funktionieren. Und sind reiche Stadtviertel wie Zamalek vier Mal am Tag betroffen, trifft es die ärmeren etwa sieben Mal. Sieben Stunden ohne Strom! Kleine Restaurants und Cafés treibt das zuweilen in den Ruin. Zum einen können sie die Lebensmittel nicht ausreichend kühlen, zum anderen können sie die Hälfte ihrer Speisekarte nicht an Gäste verkaufen: Kaffee, Shakes, Toasts - für alles braucht man Strom. 

Dementsprechend hat es auch für einigen Unmut gesorgt, dass Präsident Abdel Fattah Al Sisi den Bau eines zweiten Suez-Kanal verkündet hat. Ein Projekt, das Milliarden verschlingt, energieaufwendig ist und dessen Nutzen Experten bezweifeln. Für die Ägypter heißt das wohl auch in Zukunft: Kairo, 10:30 Uhr, 35 Grad, der zweite Stromausfall des Tages. 

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© Elisabeth Lehmann